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100 Jahre Schuhhaus Weber-Henkel Aulendorf

"Empfehle ich einen Posten guterhaltener Militärstiefel"

"Einem geehrten Publikum erlaube ich mir,  die Mitteilung zu machen, dass ich heute in meinem Hause gegenüber dem Hotel Löwen hier eine Maßschuhmacherei und Reparaturwerkstätte eingerichtet habe. Durch solide Herstellung aller Arten von Schuhwerk, sowie durch prompte Ausführung von Reparaturen, hoffe ich , die Zufriedenheit meiner werten Kundschaft zu erwerben. Hochachtend Hans Henkel, Schuhmachermeister."

Diese Anzeige erschien am 2. Juni 1919 im Aulendorfer Tagblatt, just am 26. Geburtstag des jungen, in Saulgau geborenen Schuhmachermeisters.   Nach vier Soldatenjahren im ersten Weltkrieg war er 1918 heimgekehrt, hatte im April 1919 seine Meisterprüfung abgelegt, um anschließend mutig und hoffnungsvoll in Aulendorf eine selbstständige Existenz zu gründen. Das war in jenen Jahren der Nachkriegszeit gewiss nicht einfach; es herrschte allenthalben immer noch größter Mangel. Bezeichnend dafür ist, dass der junge Handwerksmeister in seiner Eröffnungsanzeige nicht etwa modische Lackschuhe mit Pfennigabsätzen als Sonderangebot offerierte, sondern er schrieb: " Gleichzeitig empfehle ich einen Posten gut erhaltener Militärstiefel gefälliger Abnahme."

Der Geschäftseröffnung folgte alsbald die Gründung einer Familie: Am 10. Februar1920 heiratete er die aus dem nachbarlichen Haus stammende Maria Eisele. Als im folgenden Jahr 1921 das Zwillingspärchen Hans und Maria geboren wurde, war die Freude nur von kurzer Dauer, weil beide Kinder schon nach wenigen Tagen starben. Dann aber folgten, fast regelmäßig Jahr für Jahr, ab 1922 fünf Töchter.

Die Gründungsjahre des jungen Geschäftes wurden bald überschattet von einer sich immer mehr überstürzenden Geldentwertung, die aus den mühsam erarbeiteten Einnahmen immer schneller wertloses Papier machte. Hans und Maria Henkel aber machten , in der festen Hoffnung auf bessere Zeiten, fleißig und entschlossen weiter, und es gab dann auch in den Folgejahren eine , wenn auch bescheidene,  Aufwärtsentwicklung. In diesen Jahren begann Hans Henkel auch, sich immer mehr aktiv am Leben seiner Gemeinde zu beteiligen, Zum Beispiel im Vorstand des Sportvereins, des Kneippvereins oder des "Stahlhelms",  einem  zutiefst patriotisch gesinnten Verband ehemaliger Soldaten. In jenen Jahren schärfte sich auch sein Blick für politische Entwicklungen, die er nicht zuletzt auch deshalb in größeren Zusammenhängen sah, weil ihn aus seinen Lehr- und Wanderjahren zahlreiche Freundschaften mit der Schweiz verbanden. Diese Haltung brachte ihm denn auch nach der "Machtergreifung" ab 1933 Probleme.

Zunächst aber stellte er im öffentlichen Leben seinen Mann, zum Beispiel auch als Obermeister der Schuhmacherinnung des Oberamtes Waldsee, als Berater in allerlei Gremien oder als Kommandant der "Pflichtfeuerwehr Aulendorf".

Schon die Jahre der Weltwirtschaftskrise ab 1928/29 mit der  Folge einer riesigen Massenarbeitslosigkeit hatten allenthalben größte wirtschaftliche Schwierigkeiten ausgelöst,  was sich im kleinen Aulendorf Geschäft auswirkte. Das "Dritte Reich" jedoch brachte keine Besserung; im Gegenteil: Hans Henkel, der  sich der politischen Wende nicht  anschloss, verlor Zug um Zug nicht nur  seine öffentlichen Ämter, sondern auch manche Freunde und Kunden.

Damals wurde der Satz geprägt: "Wer vom Nationalsozialismus überzeugt ist, kann nicht im Schuhhaus Henkel kaufen." Kein Wunder, dass das Geschäft darunter Schaden litt, auch wenn manch alter Bekannter dennoch ab und zu im Schutze der Dunkelheit an die Tür klopfte, um heimlich Schuhe zu kaufen. Wie von Hans Henkel befürchtet und voraus gesagt, führte der eingeschlagene Weg zum zweiten Weltkrieg, den er wieder vom ersten bis zum letzten Tag mitmachen musste; zuerst in Frankreich, dann in Russland. In den letzten Jahren war er bei der Feldgendarmerie mit der Aufsicht der oberschwäbischen Kriegsgefangenenlager beauftragt, von wo er seinen Gefangenen mit Respekt sofort nach Kriegsende nach Hause entlassen wurde.

Nun galt es also im Sommer 1945 in bitterer Notzeit wieder von vorne zu beginnen. Hans Henkel stellte sich erneut für allerlei in diesen Aufbaujahren notwendigen Aktivitäten zur Verfügung. Er war Gründungsmitglied der CDU, Vorsitzender des Handels- und Gewerbevereins, des Kneippvereins, des Kur- und Verkehrsvereins. Seine besondere Liebe als Vorsitzender galt der Stadtkapelle Aulendorf. Und man sollte es nicht glauben, er war der Erste , der unter die Maske der damals neu geschaffenen " Aulendorfer Rätsch" in der Fasnet schlüpfte.

Es scheint, als hätte das Auf und Ab all der schweren Jahre die Lebenskraft des Ehepaars Henkel erschöpft. Nach jahrelanger schwerer Leidenszeit starb Maria Henkel 1954; ein Schlag von dem sich Hans Henkel nicht mehr erholen konnte. 1958 starb auch er, gerade 64 Jahre alt.   

In dieser schweren Zeit wagte es, die noch im Elternhaus verbliebenen Tochter Brigitte, gelernte Schneiderin, das Geschäft zu übernehmen. Die schwierige Aufgabe gelang, nicht zuletzt deshalb, weil sie zwei Jahre danach, 1960, durch die Heirat mit Hans Weber, damals Prokurist bei der Firma Stark, eine kräftige Hilfe fand. In den folgenden Jahren wurden Haus und Geschäft Zug um Zug umgebaut und erweitert. Langsam wuchs auch die 1961 geborene Tochter zu einer "Schuhfachfrau" heran, geschult durch eine Lehrzeit in einem großen Schuhhaus und einem Volontariat in einer Schuhfabrik.

Als Hans Weber, der die positive Entwicklung des Geschäftes jahrelang umsichtig begleitet hatte, 1978 starb, hinterließ er ein allseits beliebtes Geschäft, das Brigitte Weber 2004 an ihre Tochter Silvia übergab, die 1987 Arnold Kellinger heiratete. Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor und  auch in dritter Generation gelang es , den Spagat zwischen Geschäft und Familie mit großem Engagement zu meistern.

Ein weiterer Einschnitt im Hause Weber-Henkel erfolgte 2017. Im Juni verstarb die Seniorchefin Brigitte Weber im gesegneten Alter von 90 Jahren. Und obwohl sie immer wieder mit äußerst schmerzhaften Osteoporosebrüchen zu kämpfen hatte, stand sie auch bis zu ihrem Tod in den schmerzärmeren Zeiten der Familie mit Rat und Tat zur Seite.

"Id luck lau" war ihr Wahlspruch und mit ihrem unerschütterlichen Gottvertrauen, ihrer großen Liebe zu den Menschen und zur Arbeit, ihrer Tatkraft und äußersten Disziplin war sie der ganzen Familie ein großes Vorbild.

Indessen zeichnen sich bei den drei Kellinger-Kindern auch schon die Berufswege ab.

Der älteste Sohn Matthias arbeitet als Software- Ingenieur in der Maschinenbaubranche und schlug somit die technische Richtung ein wie sein Vater. Der zweite Sohn, Andreas, hat mittlerweile seine Meisterprüfung als Orthopädieschuhmacher erfolgreich abgeschlossen und zwar exakt 100 Jahre nach seinem Uropa, dem Firmengründer, Hans Henkel. Auch Nesthäkchen Lea tendiert zum gleichen Umfeld und hat 2018 eine Lehre zur Orthopädietechnikerin begonnen.

In der heutigen Zeit einen  kleinen Familienbetrieb in einer Nebenstraße zu erhalten, ist keine Selbstverständlichkeit und ist nicht zuletzt der großen Kundentreue zu verdanken, der sich Silvia Kellinger mit ihrem Team auch in Zukunft mit großer Dankbarkeit verpflichtet fühlt.